Bale Mountains: Rote Wölfe in dünner Luft

Viele Monate lang war ZGF-Fotograf Daniel Rosengren coronabedingt im Homeoffice. Statt die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen in den ZGF-Projekten zu dokumentieren, hieß es Fotos sortieren und Bilddatenbanken organisieren. Vor wenigen Wochen konnte er unter entsprechenden Vorschriften und Hygieneauflagen nach Äthiopien reisen, genauer gesagt in den Bale-Mountains-Nationalpark.

20.04.2021, Daniel Rosengren

Einige Tage nachdem ich im Bale-Mountains-Nationalpark in Äthiopien angekommen war, setzte mich ein Projektmitarbeiter auf dem Sanetti-Plateau ab – eine faszinierende Hochebene 4.100 Meter über dem Meeresspiegel. Ein paar Tage lang sollte ich dort die Landschaft fotografieren und die Tiere, die darin leben. Ich war 2015 schon einmal hier und stellte fest, dass ich mich noch ziemlich gut zurechtfand.

Allerdings war gerade Trockenzeit und alles, was damals saftig grün gewesen war, lag nun ausgedörrt vor mir. Bei jedem Schritt zerbröselte die vertrocknete Vegetation unter meinen Schuhen zu Staub. Dort in völliger Einsamkeit umherzuwandern, gab mir ein
berauschendes Gefühl von Freiheit: weit und breit kein Mensch, nur rötlich-braunes Gestein. Die Welt lag mir zu Füßen.

Autor und ZGF-Fotograf Daniel Rosengren

Artenreichtum auf dem kahlen Hochplateau

Ich konnte mich nicht sattsehen und musste ständig stehenbleiben, um alles zu fotografieren. Denn obwohl alles so kahl aussah, war die Landschaft voller Leben. Viele endemische Äthiopische Hochlandhasen sprangen über das Plateau und vor mir davon. Unzählige ebenfalls endemische Blicks Grasratten stellten sich auf ihre Hinterbeine, stießen spitze Schreie aus und stürzten sich in ihre unterirdischen Bauten hinab, als sie mich sahen. Beim Blick in den strahlend blauen Himmel sah ich zahlreiche Adler und andere Greifvögel.

An einem kleinen See fand ich neben den endemischen Blauflügelgänsen nicht nur farbenprächtige Ruderenten und Gelbschnabelenten, sondern auch Arten, die wir aus Europa kennen. Zugvögel, die im Winter aus dem Norden hierherkommen: Löffelenten, Spießenten, sowie ein Grünschenkel, ein Dunkler Wasserläufer, ein Rotschenkel und ein Waldwasserläufer hielten sich am Wasser auf. Die Luft war erfüllt vom Gesang der Rotkehlpieper, einer Singvogelart aus der arktischen Tundra. Das Sanetti-Plateau ist die Heimat zahlreicher Arten, die nur hier vorkommen, und ein optimaler Rastplatz für europäische Wintergäste. Hinter dem See ragte eine steile Felswand empor, in der scheinbar in jeder kleinsten Nische ein runder Klippschliefer saß. Die Rufe dieser an Meerschweinchen erinnernden grauen Schliefer hallten über die Ebene.

Die endemischen Blicks Grasratten sind ein wichtiges Beutetier für Äthiopische Wölfe. © Daniel Rosengren

Atemlos durch die Nacht

Abgesehen von ein paar Bissen hatte ich seit dem Frühstück nichts mehr gegessen, entsprechend hungrig war ich, als ich mir abends Nudeln mit Tomatensoße kochte. Wider besseres Wissen aß ich viel zu viel. Ein Fehler. Der Körper braucht Sauerstoff für die Verdauung und nun stritt sich mein Magen mit meinem Gehirn um den wenigen Sauerstoff, der in der dünnen Höhenluft des Plateaus auf über 4.000 Meter zur Verfügung stand. Ich bekam schlimme Kopfschmerzen und mir wurde ziemlich flau im Magen: Ich war höhenkrank.

Nachts quälte ich mich kurz aus meinem Schlafsack, um den Sternenhimmel und die Hochebene im Mondlicht zu fotografieren. Der Hügel, auf dem ich tagsüber stundenlang umhergewandert war, erschien mir unbezwingbar. Atemlos kehrte ich um und legte ich
mich sofort wieder schlafen.

Der Sternenhimmel über den Bale Mountains. © Daniel Rosengren

Rote Wölfe im Morgenlicht

Am nächsten Morgen um sechs Uhr war ich mit Abdi Samune verabredet. Er arbeitet für das Ethiopian Wolf Conservation Programme, das die seltenen Äthiopischen Wölfe schützt, und wollte mich in das Territorium eines Rudels mitnehmen. Es war ein unglaublich schöner Morgen. Nach und nach hob sich der Nebel und die aufgehende Sonne tauchte die Landschaft in ein unwirklich strahlendes Licht. Ich hatte immer noch schreckliche Kopfschmerzen und war außer Atem.

Als wir endlich angekommen waren, war ich wirklich erleichtert. Sofort sahen wir Äthiopische Wölfe: drei erwachsene Tiere, rostrot und hochbeinig, und drei deutlich kleinere Jungtiere. Sie leuchteten förmlich im Morgenlicht und spielten miteinander. Der Äthiopische Wolf ist eine endemische Art, die nur im Äthiopischen Hochland vorkommt. Er ist der seltenste Canide der Erde. Der Bestand wird auf drei- bis vierhundert Tiere geschätzt, die meisten von ihnen leben in den Bale Mountains. Ihre größte Bedrohung sind Hunde, bei denen sie sich mit Staupe oder Tollwut anstecken können und die ihre Nahrungskonkurrenten sind. Auch Nutzvieh wie Rinder, Schafe und Ziegen, das im Nationalpark geweidet wird und das empfindliche Ökosystem stört, ist eine Gefahr für die Wölfe. Um das Weiden der Nutztiere und die Anzahl der Hunde zu begrenzen und dadurch das Leben der Äthiopischen Wölfe sicherer zu machen, arbeitet die ZGF an Vereinbarungen mit den Menschen, die im und außerhalb des Parks leben.

Nach dem langen Weg zurück zu meiner Hütte musste ich mich ausruhen. Mitten am Tag, wenn die Sonne hochsteht, ist dafür die beste Zeit, denn dann sind die Bedingungen fürs Fotografieren alles andere als optimal. Erst am Nachmittag wollten Abdi und ich das Wolfsrudel noch einmal besuchen, damit ich die Tiere im weichen Abendlicht fotografieren könnte. Mein Kopf wurde klar und langsam begann ich, mich besser zu fühlen. Anscheinend gewöhnte sich mein Körper an die Höhe. Meine nächste Mahlzeit war nur ein Imbiss und das war genau richtig. Denn der Gewaltmarsch, der mir am Morgen unendlich lang und schwierig vorgekommen war, war nicht viel mehr als ein Spaziergang: laut GPS exakt drei Kilometer.

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