Im Land der wilden Bonobos

Unser Fotograf Daniel Rosengren ist in die Demokratische Republik Kongo gereist, um im Lomami-Nationalpark die Arbeit des Lomami Conservation Project zu fotografieren. Eine außergewöhnliche Reise mit ebenso außergewöhnlich langen Wegen in eine abgelegene und schwer zugängliche Region unserer Erde.

24.06.2022, Daniel Rosengren

Im Frankfurter Zoo kann man Bonobos beobachten. Ganz bequem durch die Scheibe. Der wirkliche, wilde Lebensraum dieser Menschenaffen ist aber alles andere als bequem zu erreichen. Die Art lebt im Regenwald und zwar ausschließlich in der Demokratischen Republik Kongo. Diesen Lebensraum zu erhalten und damit auch die Bonobos, ist ein wichtiger Aspekt des seit 2019 von der ZGF geführten Lomami Conservation Project.

Lomami, die Naturlandschaft zwischen den Flüssen Tshuapa, Lomami und Lualaba, ist ungefähr so groß wie die Schweiz. Ein Viertel davon steht als Lomami-Nationalpark unter Schutz. Die Region ist fast vollständig von dichtem, tropischem Regenwald bedeckt, in dem neben den Bonobos auch Waldelefanten, Riesenschuppentiere und Flusspferde leben. In Lomami wurden zahlreiche endemische oder seltene Arten nachgewiesen, darunter Lesula-Affen, Dryas-Affen, Kongo-Pfauen und Okapis.

Wilde Fahrt auf dem Motorradtaxi

Nach meiner Ankunft in Kindu, der Provinzhauptstadt fast im Zentrum der riesigen Demokratischen Republik Kongo bereitete ich mich zusammen mit meinen kongolesischen ZGF-Kollegen auf den Trip nach Lomami vor. Von Kindu aus operiert unser Projekt, dort befindet sich das ZGF-Büro. Auf der Karte liegt es etwa 70 Kilometer östlich des südlichsten Zipfels des Lomami-Nationalparks. Wie weit es aber wirklich bis in den Park und zu den Bonobos sein würde, sollte ich in den nächsten Wochen erleben.

Vor unserem Aufbruch in den Dschungel von Lomami besorgte Ephrem Mpaka, Teamleiter der ZGF in Lomami und mein Guide für diese Fotoreise, Proviant und Ausrüstung für die nächsten Wochen. Wir türmten alles – Benzin, Reis, Bohnen, Tee, Hühner, Kochgeschirr, Zelte, meine Fotoausrüstung, einen Generator – auf die drei Motorradtaxis, mit denen wir eine Zeit lang unterwegs sein würden. Ephraim und ich quetschten uns hinter die Fahrer von zwei der Motorräder und los ging die wilde Fahrt: Zwei Tage lang fuhren wir auf diese Weise auf Trampelpfaden und buckligen Pisten durch Dörfer, Felder und Wälder. Ständig peitschten Äste gegen unsere Arme und Beine, als wir an der dichten Vegetation vorbei brausten. Viel unangenehmer waren jedoch die Krämpfe in den Beinen und das schmerzende Hinterteil, zu denen die unbequeme Körperhaltung relativ schnell führte.

Irgendwann mussten wir einen Fluss überqueren, doch es gab keine Brücke. Also luden wir unsere Motorräder und die gesamte Ausrüstung in geschnitzte hölzerne Kanus, sogenannte Dugouts, und setzten auf die andere Seite über. Am Abend des zweiten Tages kamen wir in das winzige Dorf Chumbe Kilima – die letzte Siedlung, bevor wir den Lomami-Nationalpark erreichten.

Ab hier zu Fuß

Wir übernachteten in Chumbe Kilima und brachen sehr früh am nächsten Morgen auf. Ohne Motorräder. Ab jetzt lag eine lange Wanderung vor uns. Drei Träger begleiteten uns auf unserem Weg in die Wildnis. Ein schmaler Pfad führte uns durch den Regenwald. Lautstark informierten uns Zikaden und andere Insekten über ihre Anwesenheit. Viele Vögel waren zu hören, aber in der dichten Vegetation waren sie fast unsichtbar. Jedes Mal wenn ich stehenblieb, um mir etwas genauer anzuschauen, beschlugen sofort meine Brillengläser, so hoch war die Luftfeuchtigkeit. Ich trank literweise Wasser und salzte mein Essen besonders ausgiebig, um das ständige Schwitzen auszugleichen.

Wir überquerten mehrere Flüsse auf improvisierten Brücken aus Baumstämmen und Bambus, durchwanderten riesige Lichtungen, die mit hohem Gras bewachsen waren und eine ganz eigene Welt waren im Vergleich zum dichten, dunklen Regenwald. Nach neun Stunden erreichten wir den mächtigen Lomami-Fluss. Mit einem Dugout-Kanu gelangten wir ans andere Ufer und in das Dorf Katopa. Hier bauten wir in der Rangerstation unser Camp auf. Zwei Tage auf dem Motorrad plus 37 Kilometer Fußmarsch lagen hinter uns, nur fünf Kilometer weniger als ein Marathon. Vor uns lag die Wildnis Lomamis.

Drei Motorradtaxis werden mit allem beladen, was mit muss nach Lomami - Benzin, Reis, Bohnen, Tee, Kochgeschirr, Zelte, Daniel Rosengrens Fotoausrüstung und ein Generator
Motorradtaxis überqueren den Kasuku-Fluss mithilfe eines Dagout-Kanus.
Am linken Ufer des Lomami-Flusses lieg versteckt unter den dichten Bäumen das Dorf Kakongo.
Die Rangerstation in Katopa, einem kleinen Dorf am Rande des Lomami-Nationalparks
Katopa liegt in der Pufferzone von Lomami, auf der anderen Seite des Flusses beginnt der Nationalpark
Daniel Rosengren unterwegs zu Fuß ins Dorf Losekula.
Träger helfen beim Transport von allem, was man auf Expedition im Feld dringend braucht.
ZGF-Fotograf Daniel Rosengren beim Überqueren eines kleinen Flusses auf dem Weg nach Lomami.
ZGF-Teamleiter Ephrem Mpaka begleitete Daniel Rosengren auf seiner Expedition in Lomami.
Ein Bonobo in den Baumkronen des Lomami-Nationalparks. (Alle Bilder ©Daniel Rosengren)

Wo sind die wilden Bonobos?

Ganz oben auf meiner Liste der zu fotografierenden Arten standen die Bonobos, die auch „Zwergschimpansen“ genannt werden. Zusammen mit den Schimpansen sind sie unsere nächsten Verwandten und es gibt sie nur in der DR Kongo. Würden wir sie hier sehen? Es ist generell sehr schwierig, im dichten Dschungel Tiere zu finden. Überall Blätter, Laub, Zweige, Tausende Lagen an Vegetation, die den Blick auf alles versperren, was man nicht direkt vor Augen hat. Zudem sind die meisten Tiere sehr scheu und wachsam und verstecken sich, bevor man überhaupt bemerkt, dass sie da waren.

Wir blieben eine Woche in Katopa und erforschten die Umgebung bei Tag und auch bei Nacht, doch langsam verlor ich die Hoffnung, Bonobos zu finden. Einmal sagte Ephrem er habe in der Ferne ihre Rufe gehört, doch wir fanden keine Spur der Menschenaffen. Wir verließen den Pfad und tauchten in den dichten Dschungel ein. Das war extrem beschwerlich und wir kamen nur sehr langsam voran. Mit der Machete bahnten wir uns einen Weg und kletterten mit jedem Schritt über Baumstämme und Zweige oder duckten uns unter herabhängenden Ästen. Immer wieder verhedderten wir uns in Lianen und aufgrund der Hitze und der hohen Luftfeuchtigkeit waren wir schon nach den ersten Schritten schweißgebadet. Mehrere Stunden vergingen und erschöpft machten wir eine Pause. Wir hatten Kaffee in einer Thermosflasche dabei und setzten uns in eine kleiner Lichtung an einen Bachlauf. Wir waren enttäuscht: wieder kein Erfolg.

Ein Moment pures Glück

Als wir uns gerade auf den Weg machen und ins Camp zurückkehren wollten, hörten wir sie: Schreie, die eindeutig von Bonobos stammten! Sie waren ganz nah. Also versuchten wir, uns anzuschleichen, ihnen möglichst lautlos näherzukommen, ohne Machete und möglichst auch, ohne Zweige und Blätter zu berühren – unmöglich! Und plötzlich sahen wir sie, schemenhaft hinter Blättern, hoch oben in einem Baum. Eine kleine Gruppe Bonobos beim Fressen. Ich schaffte es, irgendwie eine Lücke in der Vegetation zu finden und ein Männchen zu fotografieren, bevor sie uns bemerkten und weiterzogen. Ich versuchte, ihnen zu folgen, alleine und so leise wie möglich. Sie hatten sich nicht weit entfernt und nachdem ich sie wiedergefunden hatte, konnte ich sie ein paar magische Minuten lang beobachten und fotografieren. Dann verschwanden sie und ich konnte im dichten Wald nicht hinterher. Was für eine Erleichterung. Bonobos! Endlich! Sehr wenige Menschen haben das Glück, wilde Bonobos in ihrem Lebensraum zu sehen und ich war in diesem Moment einfach nur glücklich.

Endlich erblickten wir doch noch wilde Bonobos.

Eine rettende Tasse Tee

Gegen Ende meiner fünfeinhalbwöchigen Reise wurde ich krank. Ich bekam Fieber, Gliederschmerzen und Magenprobleme. Ich fühlte, wie ich immer schwächer wurde. Wahrscheinlich hatte ich Malaria. Zwei Tage lang würden wir laufen müssen, vom Wald zurück an den Fluss und das war erst der Anfang des Rückwegs und meiner Heimreise. Ich war mir ehrlich nicht sicher, wie ich das schaffen sollte. Ich konnte nichts essen, schon vom Gedanken an Reis und Bohnen wurde mir übel. Überraschend trafen wir nochmal auf Bonobos, doch ich hatte nicht einmal mehr genug Kraft, meine Kamera lange genug hochzuheben, um sie zu fotografieren. Schon der Versuch kostete mich so viel Energie, dass ich mich mehrere Minuten lang hinsetzen und ausruhen musste.

Diese Bonobos gehörten einer anderen Population an als die, die wir zuvor gesehen hatten. Die Bonobos, die östlich des Lomami-Flusses leben, erkranken nicht an Malaria, die auf der westlichen Seite schon, ist das nicht faszinierend? Damals hab ich nicht darüber nachgedacht, ich war vielleicht zu fertig, aber da saß ich, malariakrank, und beobachtete meine Bonobo-Cousins, die sich ebenfalls mit dieser Krankheit herumplagen müssen.

Wir mussten weiter, aber ich hielt unsere Reisetruppe auf. Wir bewegten uns im Schneckentempo, trotzdem brauchte ich ständig eine Pause. Sogar sitzen war zu anstrengend und ich legte mich einfach flach auf den Waldboden. Das Team wartete geduldig. Ich zwang mich, einen Müsliriegel zu essen, aber schaffte nur ein paar Bissen. ZGF-Projektassistent Koko Bisimwa brachte mir dann eine Tasse stark gezuckerten Tee. Den konnte ich trinken und ich übertreibe nicht, wenn ich sage: Diese Tasse süßer Tee hat mich gerettet. Sie gab mir die Energie weiterzugehen, bis an den Fluss, wo ein Dugout-Kanu auf uns wartete. Als ich im Boot saß, war ich grenzenlos erleichtert. Wider Erwarten hatte ich es geschafft, die 16 Kilometer zu laufen. Den Rest des Tages fuhren wir im Boot den Lomami hinunter und ich konnte mich ausruhen.

Zehntägige Heimreise

Das war der erste von zehn Rückreisetagen, die es dauern würde, vom Lomami-Nationalpark nach Hause zu kommen. Am nächsten Morgen fühlte ich mich ein wenig besser, die Malaria-Medikamente begannen zu wirken.

Nach einem weiteren Tag auf dem Fluss erreichten wir ein Dorf und zum ersten Mal nach über einem Monat schlief ich wieder in einem Bett. Dann folgten nochmal zwei Tage auf dem Motorrad und am Ende des zweiten Tages waren mein schmerzhaftes Hinterteil und ich sehr froh, abzusteigen und mit anderen Verkehrsmitteln weiterzureisen. Nach einem negativen Coronatest in Kinshasa setzte ich mich ins Flugzeug und flog zurück nach Hause.

Diese Reise in den Kongo war einzigartig und meine bisher anstrengendste Reise als ZGF-Fotograf. Jetzt wollte ich nur noch schlafen. Und einen ganzen Tag und eine ganze Nacht lang tat ich das auch. Nach einem sehr ausgiebigen Frühstück – denn die Badezimmerwaage hatte bestätigt, was meine weite Hose mich schon vermuten ließ: Ich hatte zehn Prozent meines Körpergewichts verloren.

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