Kurz vor der COP 15 haben wir mit Georg Schwede gesprochen. Er ist Europavertreter von Campaign for Nature und setzt darauf, dass die 196 Staaten auf der Konferenz starke Entscheidungen treffen, um den rapiden Verlust der Biodiversität aufzuhalten.
„Ich denke nicht, dass viele Menschen wirklich wissen, was auf dem Spiel steht.“
Titelbild: Die Weltkarte zeigt die Vielfalt und Verteilung der Säugetierarten. Quelle: Biodiversitymapping.org mit Daten der IUCN.
Hallo Herr Dr. Schwede, danke, dass Sie sich Zeit genommen haben. Was ist die COP und welche besondere Bedeutung hat die COP 15?
Dr. Georg Schwede: COP steht für „Conference of the Parties“ und zwar die Conference of the Parties der CBD, der Convention on Biological Diversity. Auf Deutsch etwas umständlich die Konferenz der Vertragsparteien zum Übereinkommen über die biologische Vielfalt. Das ist die Schwesterkonvention zur Klimakonvention, die jetzt gerade in Sharm el-Sheik stattgefunden hat.
196 Staaten beraten und beschließen auf der COP 15, was die Menschheit tun muss, um die biologische Vielfalt zu erhalten. Dort wird die Strategie für die nächsten acht Jahren festgelegt, also bis 2030.
Dr. Georg Schwede war Geschäftsführer und Direktor beim WWF Deutschland und WWF International. Er ist Biodiversitätsexperte und Berater für Non-Profit-Organisationen.
Heute arbeitet er für die Campaign for Nature in Europa, die sich zum Ziel gesetzt hat, dass mindestens 30 Prozent des Planeten bis 2030 wirksam geschützt sind.
Ja, ich werde dabei sein. Es geht los am 2.12. mit der fünften Open Ended Working Group. Da die Vertragsparteien sich bisher noch nicht in allen Punkten einigen konnten, gibt es jetzt vorab nochmal ein Treffen, um einen endgültigen Entwurf vorzubereiten, der dann verhandelt wird. Die COP 15 ist terminiert bis zum 19.12., aber es wird wahrscheinlich länger dauern, das war bei der Klima-COP auch so.
Ich, als Vertreter der Campaign for Nature, werde wie alle NGO-Vertreter als Beobachter teilnehmen, d. h. wir können die Verhandlungen verfolgen und über die Vertragsparteien sicherstellen, dass unsere Interventionen und Positionen in die Verhandlungen aufgenommen werden.
Weitere Teilnehmer sind viele andere NGOs, Interessensverbände von Jugend, von Frauen, von indigenen Völkern, aber auch Wissenschaftler und Lobbyisten aus den verschiedenen Bereichen wie Landwirtschaft, Bergbau und anderen relevanten Wirtschaftsbereichen. Und dann die großen Delegationen der 196 Länder, die die Konvention unterzeichnet haben. Ich habe gehört, dass die deutsche Delegation etwa 100 Leute umfasst. So kommen diese astronomischen Teilnehmerzahlen zustande. Bei der Klima-COP in Sharm el-Sheik waren etwa 46.000 Menschen und in Montreal werden um die 16.000 erwartet.
Meist nehmen die Verhandlungsführer der einzelnen Länder an den Konferenzen teil. Die sind dazu aufgerufen, einen Entwurf zur Abstimmung zu bringen. Erst dann kommen die politischen Schwergewichte dazu. Bei der COP 15 werden das nicht die Regierungschefs sein, wie bei der Klima-COP. Das bedauern wir extrem, denn das würde den Verhandlungen und insgesamt dem Thema Biodiversitätsverlust Rückenwind geben. Jetzt rechnen wir damit, dass beim sog. High Level Segment zwischen dem 15. und 17. Dezember die Umweltminister teilnehmen, also auch Frau Lemke und viele andere. Die schauen dann, wo die Verhandlungen stehen, und wo es Kompromisslinien gibt, die sie dann weiter diskutieren. In der letzten Runde wird der Text abgestimmt und hoffentlich vereinbart.
Wie ist denn jetzt der aktuelle Stand, die erste Hälfte der Konferenz hat ja schon online stattgefunden.
Es war der Corona-Krise geschuldet und der Null-Covid-Strategie in China, dass die COP 15, die schon vor zwei Jahren in Kunming stattfinden sollte, mehrfach verschoben wurde. Schließlich fand im Oktober 2021 ein erster virtueller Teil der COP 15 statt. In Montreal findet jetzt der zweite Teil statt. Wir haben einen Entwurf, der immer noch sehr viele textliche Ungereimtheiten enthält und viele Punkte, bei denen es noch keine Übereinstimmung gibt. Der aktuelle Entwurf listet 22 Ziele, hat aber noch über 1.000 sogenannte Klammern, also Textteile oder konkrete Zahlen, bei denen es noch keine Übereinstimmung gibt und die final verhandelt werden müssen. Darum geht es jetzt in Montreal.
Ich hoffe, dass wir ein Abkommen erreichen, das endlich die dringend notwendige Trendwende bei der Erhaltung der biologischen Vielfalt einleitet. Die internationale Politik in den 30 Jahren nach dem ersten UN-Klimagipfel 1992 in Rio völlig versagt, den Verlust an biologischer Vielfalt aufzuhalten. Es geht rapide bergab.
Die Wissenschaft sagt klar, die nächste Dekade ist entscheidend, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, bei dem die biologische Vielfalt durch Schutz und Renaturierung von Flächen eine entscheidende Rolle spielt.
Wir steuern auf eine Zukunft zu, in der wir vielleicht 1 Million Tier- und Pflanzenarten verlieren. Die Dringlichkeit, hier eine Transformation in vielen Bereichen der Wirtschaft und im Umgang mit der Natur einzuleiten, wie es vom Weltbiodiversitätsrat angemahnt wird, ist entscheidend für das Überleben der Menschheit. Das muss man so klar sagen.
Das World Economic Forum hat die zwei größten Risiken für die Zukunft der Menschheit benannt und die Wahrscheinlichkeit, dass sie eintreten. An erster Stelle steht der Klimawandel und an zweiter Stelle steht die Biodiversitätskrise. Zwei Krisen, die eng miteinander verbunden sind und nur durch gemeinsame miteinander abgestimmte Strategien zu lösen sind. Daher hoffe ich sehr, dass es den Durchbruch geben wird und dass wir uns auf Ziele einigen, die endlich die dringend notwenige Trendwende einleiten.
Dazu gehört auch, dass man sich auf das 30×30-Ziel verständigt, also mindestens 30 Prozent der Erde unter effektiven Schutz stellt und, dass man ambitionierte Renaturierungsziele setzt. Wir brauchen auch klare und ambitionierte Ziele zur Reduzierung von Verschmutzung in allen Bereichen, z. B. durch Pestizide und Plastik und letztendlich muss auch Geld auf den Tisch, um sicherzustellen, dass die verschiedenen Maßnahmen, die beschlossen werden, auch wirklich umgesetzt werden.
Es gab in Teil 1 der COP 15 finanzielle Zugeständnisse von China, aber auch von der EU. Ist das bisher nur ein Tropfen auf den heißen Stein?
Ja, so kann man es nennen. Es gibt Studien, aus denen klar hervorgeht, dass die Finanzierungslücke jährlich bei 700 Milliarden US-Dollar liegt. Diese Lücke muss geschlossen werden, um wirklich alle Ziele zu erreichen. Unsere Recherchen zeigen, dass wir bisher nur etwa 7,5 Milliarden an neuen Finanzierungszusagen haben. Da klafft also eine riesige Finanzierungslücke und das ist die Achillesferse der Verhandlungen.
Der Globale Süden hat das auch jetzt bei der Klimakonferenz klar deutlich gemacht: Der Globale Norden ist durch das Wirtschafts- und Konsumverhalten hauptsächlich verantwortlich für die Klimakrise! Das gleiche gilt für den Biodiversitätsverlust! Deshalb besitzt der Norden eine moralische und historische Schuld und muss entsprechend mehr zahlen. Sollten die Gelder nicht auf den Tisch gelegt werden, wird es entweder ein schwaches Abkommen geben oder vielleicht sogar gar kein Abkommen geben. Wir können uns beide Szenarien nicht leisten.
Und nicht ausreichende Finanzmittel würde bedeuten, dass die Beschlüsse, die gefasst werden, nicht umgesetzt werden könnten. Das haben die Biodiversitätsziele, die 2010 auf der COP 10 in Nagoya verabschiedet wurden bereits gezeigt. Keines der Ziele wurde vollständig, viele noch nicht einmal im Ansatz erreicht.
Wer zahlt die Rechnung? Ist diese Frage der Hauptgrund, warum es so schwierig ist, Entscheidungen zu treffen?
Die Schuldfrage und damit verbunden die Frage, wer jetzt für den Schaden zahlt, ist sicher der Hauptgrund für den großen Graben zwischen Nord und Süd, der sich bei den Verhandlungen aufgetan hat. Der Süden sagt: Ihr habt die Krisen durch Euren Wohlstand und Konsumverhalten hauptsächlich verursacht, also müsst ihr auch dafür entsprechend zahlen. Ob das im Klimabereich ist oder bei der Biodiversität.
Auf den Punkt gebracht bedeutet dies: Entweder erhöht ihr Eure finanziellen Zusagen drastisch oder wir stimmen keinen ambitionierten Zielen zu. Das Geld ist der zentrale Grund, warum die Verhandlungen sich so schwierig gestalten und vielleicht sogar scheitern. Der andere Grund sind die völlig unterschiedlichen Entwicklungsstadien und -szenarien der 196 Vertragsstaaten der CBD und die sich daraus ergebenen unterschiedlichen Perspektiven und Positionen. Sie unter einen Hut zu bringen, zeigt die Schwäche und Grenzen der derzeitigen multilateralen Prozessen und Strukturen auf. Das hat man in Sharm el-Sheik gesehen und das werden wir in ähnlicher Form auch in Montreal sehen.
Wie bereits gesagt, vielleicht scheitert die COP. Es gibt Vertragsparteien, die sagen, ein Scheitern ist immer noch besser als eine COP 15, die sich auf wachsweiche und wenig ambitionierte Ziele einigt. Meiner Ansicht nach beides fatal, weil uns einfach die Zeit wegläuft.
Deutschland spiel offiziell keine Rolle, weil sich alle 27 EU-Mitgliedsstaaten vorher und während der COP absprechen und so über die EU-Präsidentschaft, die Tschechien zurzeit innehat, an den Verhandlungen teilnehmen und entsprechend abgestimmte Eingaben und Positionen einbringen. Aber natürlich hat Deutschland als viertgrößte Volkswirtschaften ein enormes ökonomisches und politisches Gewicht in der Welt. Ein Gewicht, das muss man ehrlich sagen, das ist bisher nicht zu spüren war.
In den Medien wird jetzt wieder viel berichtet. Haben Sie den Eindruck, dass das ausreicht, um den Menschen vor Augen zu führen, was wirklich auf dem Spiel steht?
Nein. Ganz klar nein. Gerade gestern habe ich nochmal eine Grafik gesehen, wie gering insgesamt die Medienaufmerksamkeit im Vergleich zum Klimathema ist. Die Aufmerksamkeit für Biodiversität kann man nur als leises Grundrauschen vernehmen. Das Timing der Konferenz ist auch sehr unglücklich, zeitgleich mit der Fußball-WM. Das wird der Berichterstattung nicht helfen. Dadurch fehlt der Druck der Öffentlichkeit und der Medien auf die verhandelnden Parteien. Als NGO versuchen wir alles, um die globale Aufmerksamkeit auf die zentrale Rolle, die die COP für die Zukunft der Menschheit spielt, zu erhöhen. Ich denke nicht, dass viele Menschen wirklich wissen, was in Montreal auf dem Spiel steht und was die Ergebnisse für sie bedeuten.
Es geht um nicht weniger als die Sicherung unserer eigenen Lebensgrundlagen, es geht um die Zukunft der Menschheit. Das sagen uns die Wissenschaftler immer wieder und seit langem. Leider setzt die Politik andere Prioritäten und eher auf kurzfristige Maßnahmen als auf die großen Zwillingskrisen Biodiversitätsverlust und Klimawandel, die langfristig alles bedrohen: die Wirtschaft, das soziale Miteinander, unsere Gesundheit, Ernährung und vieles mehr. Letztendlich stehen die Grundlagen unseres Lebens auf dem Spiel. Das ist nicht übertrieben, weil sich die Situation durch das Nichthandeln der letzten 30 Jahre so zugespitzt hat. Daher ist die COP 15 so wichtig. Sie kommt einem „Endspiel für die Menschheit gleich“, das wir gewinnen müssen!
Es geht auch um Gerechtigkeit gegenüber indigenen Gemeinschaften bei der COP 15. Können sie das ein bisschen ausführen?
Indigene Völker spielen eine entscheidende Rolle bei den Beschlüssen. Ihre Rechte müssen gestärkt werden. 80 % der Flächen, die potenziell als neue 30×30-Schutzgebiete ausgewiesen werden können, liegen in Gebieten, in denen indigene Völker leben. Daher ist es entscheidend, dass es bei der Ausweisung neuer Schutzgebiete nicht, wie teilweise in der Vergangenheit geschehen, zu Menschenrechtsverletzungen kommt. Man muss die Menschen einbinden, ihre Rechte im Einklang mit der UN-Menschenrechtskonvention wahren und sie auch bei der Umsetzung der Schutzmaßnahmen beteiligen. Das ist auch für andere Ziele ganz entscheidend, für ein faires Abkommen und die gute und wirksame Umsetzung.