Im Papier-Ökosystem

Die Welt wird digital, die Akten und Unterlagen auch. Doch im Keller des Frankfurter Zoogesellschaftshauses lagern noch sehr viele alte Dokumente. Ein Glück für uns, denn sie erzählen die Geschichte der ZGF und geben Einblick in die Naturschutzarbeit in den 1960er- bis 90er-Jahren, als Korrespondenz noch per Brief, Fax oder gar Telegramm stattfand und nicht per E-Mail oder Online-Konferenz.

21.04.2023, Katharina Hensen

Seit Februar letzten Jahres widmet sich die langjährige ZGF-Mitarbeiterin Sabina Potthoff dem Aufbau eines echten ZGF-Archivs. Was als „Aufräumen im Keller“ begann, wächst sich zu einem ambitionierten Projekt aus, um die Geschichte der ZGF und viel Wissen zur Naturschutzentwicklung aufzuarbeiten und zu bewahren.

Ein historisches Archiv kann auch bei heutigen Problemstellungen sehr hilfreich sein. Die Auseinandersetzungen um neue Grenzziehungen in Zusammenhang mit Landnutzungsrechten im Serengeti-Ökosystem (s. Gorilla 2/2022) zeigen dies beispielhaft. Der ZGF wird in diesem Konflikt vor allem in den sozialen Medien vorgeworfen, durch ihren damaligen Präsidenten Bernhard Grzimek in den 1960er-Jahren dazu beigetragen zu haben, die Massai aus ihrem angestammten Siedlungsgebiet der Serengeti zu vertreiben. Was ist dran an diesem Vorwurf? Gibt es dazu historische Dokumente, die dies belegen? Zeigen Projektunterlagen aus früheren Jahren, inwieweit die ZGF oder Bernhard Grzimek tatsächlich an der Festlegung von Grenzen des Nationalparks beteiligt war? Solche Fragen mithilfe von Quellen aus historischen Dokumenten beantworten zu können, ist für die Einordnung der heutigen Ereignisse in einen historischen Kontext sehr wertvoll.

Leider ist dies bislang aber nur sehr eingeschränkt möglich. Denn trotz Hunderter Akten aus den Sechzigerjahren bis heute ist ein gezieltes Suchen nach Themen oder Zeiträumen bislang unmöglich. In unserem Keller liegen schätzungsweise 1.900 Aktenordner oder im „Archivsprech“ circa 200 laufende Meter Akten, weitgehend ohne systematische Ordnung. Damit sich dies ändert und der Schatz an historischen Dokumenten uns selbst, aber auch externen Forschenden zur Verfügung stehen kann, arbeitet Sabina Potthoff daran, unsere Dokumente in ein Archiv zu überführen. Wie das passiert, erzählt sie uns im Interview

Insbesondere die Akten aus den Sechzigerjahren sind super interessant. Allein wie damals kommuniziert wurde, ist ja für uns aus heutiger Sicht kurios. Es wurden Briefe geschrieben, die wochenlang unterwegs waren.

Sabina Potthoff, ZGF-Archivarin

Sabina, du bist Biologin, keine Archivarin. Woher hast du dein mittlerweile umfangreiches Wissen zum Archivwesen?

Sabina Potthoff: Zunächst habe ich mir einiges theoretisches Fachwissen ganz klassisch angelesen und an der Archivschule Marburg einen Basiskurs belegt. Da lernt man die Grundlagen, allerdings eher aus der Perspektive von öffentlichen Archiven, Kommunalarchiven zum Beispiel. Deshalb war es für mich sehr hilfreich, noch an einem Workshop des Verbands der Deutschen Wirtschaftsarchivarinnen und -archivare teilzunehmen, der den Fokus auf Unternehmensarchive richtet. Als kleines privates Archiv sind wir mit ähnlichen Fragestellungen konfrontiert wie Unternehmensarchive.

Wie muss man sich deine Arbeit im Archiv vorstellen?

Wir stehen noch ziemlich am Anfang. Zunächst geht es um die Bestandserhaltung, das heißt, unsere Akten müssen erst einmal einigermaßen gesichert werden. Dazu gehören aufwendige händische Arbeiten wie das Umbetten in archivsichere Kartons, die Trockenreinigung von besonders verschmutztem Papier und das mühsame Entfernen sämtlicher Heft- oder Büroklammern. Da vor allem in den Sechziger- und Siebzigerjahren die Kommunikation noch auf dem Postweg lief, gibt es viele Dokumente auf Luftpostpapier oder auch Durchschläge auf ganz dünnem Papier.

Du hebst doch nicht alles auf, oder? Wie entscheidest du, was wichtig ist und was wegkann?

Am Anfang der Übernahme von Archivgut in ein historisches Archiv steht die sogenannte Bewertung. In unserem Fall ist aber klar, dass wir die Dokumente, die im Keller lagern, so gut wie vollständig übernehmen werden. Für die Zukunft muss es aber Richtlinien geben, welche Art von Dokumenten dauerhaft bewahrt werden sollen. Das ist allein schon aus Platzgründen wichtig. Diese Richtlinien werden zusammen mit den jeweiligen Fachreferaten ausgearbeitet, sodass die Entscheidungen später nachvollziehbar und unabhängig von Personen getroffen werden können.

Wie baut man denn ein Archiv von null auf?

Für das spätere Erstellen von Findmitteln bzw. Findbüchern, wie man die verzeichneten Bestände nennt, ist es notwendig, eine Archivstruktur zu konzipieren, die sogenannte Archivtektonik. Hierfür ist eine genaue Kenntnis der Organisationseinheiten der ZGF unerlässlich. Dass ich schon so lange bei der ZGF bin, hilft hierbei natürlich enorm. Unsere Archivalien werden also in unterschiedlichen Beständen geordnet und dann verzeichnet.

Und was bedeutet „verzeichnen“?

Darunter versteht man eine knappe Beschreibung, z. B. einer Akte mit den wichtigsten Angaben: also die Laufzeit, den Titel, eine knappe Inhaltsbeschreibung oder Angaben zu irgendwelchen Besonderheiten, die enthalten sein können, zum Beispiel Fotos, Karten oder Pläne, Verträge etc.

Wenn in Zukunft jemand zum Thema Naturschutz forschen will, wie kann der- oder diejenige im ZGF-Archiv Dokumente finden?

Unsere verzeichneten Bestände werden zukünftig in einem Online-Archivsystem aufgeführt werden. Hierfür nutzen wir das in Hessen auch in öffentlichen Archiven genutzte System Arcinsys. Das ist eine webbasierte Datenbank. Unsere Bestände können dann online von interessierten Nutzern durchsucht werden. Aber bis es tatsächlich so weit ist, wird es noch dauern, denn ich bin ja hier im werdenden Archiv noch Einzelkämpferin.

Kann man dann jedes Dokument im Internet einsehen?

Nein. Die Findmittel zeigen ja „nur“ die Beschreibung einer Archivalie und wo sie sich befindet. Nur wenn digitalisierte Dokumente online gestellt würden, könnte man diese auch einsehen. Das Digitalisieren ist aber sehr aufwendig, teuer und für uns im Moment nicht relevant.

Aha. Man kann sehen, was es gibt und dann vor Ort im Archiv anschauen, richtig?

Im Prinzip ja. Aber egal, ob digitalisiert oder nicht, rechtliche Fragen müssen wir für jede Akte vorab bedenken, zum Beispiel, ob mit der Freigabe Persönlichkeitsrechte verletzt würden. Um Transparenz und Sicherheit im Umgang mit unseren Dokumenten herzustellen, wird sich das ZGF-Archiv am Hessischen Archivgesetz orientieren und die entsprechenden Schutzfristen einhalten.

Du hast ja schon eine Reihe an spannenden oder kuriosen Dokumenten gefunden. Hast du ein Beispiel für uns?

Insbesondere die Akten aus den Sechzigerjahren sind super interessant. Allein wie damals kommuniziert wurde, ist ja für uns aus heutiger Sicht kurios. Es wurden Briefe geschrieben, die wochenlang unterwegs waren. Ich habe eine Anfrage der ZGF gefunden, die per Post an National Geographic in New York gerichtet wurde, um die Adresse von Dian Fossey in Ruanda zu erfragen. Eine Antwort aus den USA kam dann zwei Wochen später. Dann erst konnte man tatsächlich an Dian Fossey schreiben. Wie lang dann der Brief nach Ruanda unterwegs war, kann ich allerdings nicht sagen.

Darüber hinaus gibt es natürlich unzählige Reports aus den Projekten, die Zeitgeschichtliches beleuchten. Ein Bericht von Ende der Siebzigerjahre fiel mir im Februar 2022 kurz nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs in die Hand. Er beschreibt die Auswirkungen des Kriegs, den Idi Amins Soldaten in Uganda führten, auf Naturschutzgebiete – welch traurige Parallelen dieses Dokument bezeugt.

Vielen Dank, Sabina, für diese Einblicke.

 

Unser Archiv-Projekt wird gefördert durch die Dr. Marschner Stiftung.

Kontakt

Zoologische Gesellschaft Frankfurt von 1858 e.V.
Bernhard-Grzimek-Allee 1
60316 Frankfurt

Telefon: +49 (0)69 - 94 34 46 0
Fax: +49 (0)69 - 43 93 48
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