Die kleine indigene Gruppe der Wai Wai hat ihr angestammtes Land zum ersten selbstverwalteten Schutzgebiet Guyanas gemacht. Das schränkt die Nutzung ihres Landes zwar ein, eröffnet ihnen aber bessere Chancen für die Zukunft.
Kanashen – Guyanas erstes indigenes Schutzgebiet
- Fünf Schutzgebiete existieren heute in Guayana. Das entspricht gegenwärtig etwa 8,4 Prozent der Landesfläche.
- 2011 etablierte die Regierung ein nationales Schutzgebietssystem, welches das Management der Schutzgebiete und die Rechte der indigenen Gruppen unterstützt.
- Das indigene Volk der Wai Wai erklärte 2007 ihr Land (Kanashen) zu einem kommunalen Schutzgebiet (Community Owned Conservation Area).
- 2017 wurde mit der Kanashen Amerindian Protected Area (KAPA) in Guayana das größte Schutzgebiet des Landes in das nationale Schutzgebietssystem aufgenommen.
„Wai Wai Reisnudeln sind optimal für die Zubereitung asiatischer Nudelgerichte“, sagt Google. Moment mal, das ist doch nicht die Antwort auf meine Frage! Ich esse zwar gerne asiatische Nudelgerichte, aber in diesem Fall bin ich nicht auf der Suche nach Kochrezepten oder Kaufempfehlungen, sondern nach Informationen über das indigene Volk der Wai Wai in Guyana. Mit etwas mehr als 300 Personen sind sie die kleinste der neun indigenen Gruppen des südamerikanischen Landes, aber ihr Beitrag zum Schutz der einzigartigen Natur Guyanas ist beispiellos groß.
Zum ersten Mal erwähnt wurden die Wai Wai 1837 in den Aufzeichnungen des deutschen Abenteurers und Naturforschers Robert Hermann Schomburgk, der ab 1835 im Auftrag der Britischen Geographischen Gesellschaft vier Jahre lang eine wissenschaftliche Expedition durch Guyana unternahm. Doch bis vor wenigen Jahren war über dieses kleine Volk nur wenig bekannt. Die Wai Wai lebten sehr isoliert, sind bis heute stark ihren Traditionen verwurzelt und begreifen sich als Teil des Waldes, in dem sie leben.
Fünf Schutzgebiete gibt es heute in Guyana, das entspricht 8,4 Prozent der Landesfläche. Das erste Schutzgebiet war der Kaieteur-Nationalpark, der 1929 noch unter britischer Kolonialherrschaft ausgewiesen wurde. Im Laufe der Jahre kamen weitere Schutzgebiete hinzu, doch erst 2011 hat die Regierung die rechtlichen Grundlagen gelegt und ein nationales Schutzgebietssystem etabliert. Diese Gesetze liefern die Blaupause für das Management der Schutzgebiete und erkennen die Rechte der indigenen Gruppen an. Und sie machten den Weg frei für die Gründung des ersten indigenen Schutzgebiets Guyanas.
Die Erfolgsgeschichte begann im Jahr 2004, als die Regierung Guyanas dem Dorf Kanashen die Eigentumstitel für sein angestammtes Land zuerkannte – was weltweit noch immer als konsequenteste Anerkennung traditioneller Rechte gilt. Die Dorfgemeinschaft besitzt drei Prozent der Landesfläche Guyanas, das sind 648.000 Hektar. Dieses riesige intakte Gebiet tropischen Regenwalds liegt tief im Süden des Landes, und wirkt fast wie in einem Dornröschenschlaf. Hier entspringt der mächtige Essequibo, der größte Fluss des Landes und hier leben Tierarten wie der stark gefährdete Satansaffe (Chiropotes satanas), der Riesenotter (Pteronura brasiliensis), das Riesengürteltier
(Priodontes maximus), der Hellrote Ara (Ara macao), die Grüne Hundskopfboa (Corallus caninus) und unendlich viele mehr.
Die Wai Wai wussten genau über die immense ökologische Bedeutung dieses Regenwaldes Bescheid – aber auch über die Gefahren, die ihrem Land drohen, als sie 2007 den mutigen Schritt gingen und ihr Land zu einer sogenannten Community Owned Conservation Area machten, einem kommunalen Schutzgebiet. Die illegale Goldgewinnung aus den Flusssedimenten breitete sich in Guyana aus, Straßen wurden gebaut und die Wai Wai fürchteten um ihre Heimat, um ihre Traditionen und ihre Kultur. Weil sich die Bedrohungen jedoch mit Ausweisung als Schutzgebiet nicht in Luft auflösen und die Verwaltung eines solchen sehr aufwendig ist, beantragten die Wai Wai sechs Jahre später (mit Hilfestellung der Naturschutzorganisation Conservation International), dass ihr kommunales Schutzgebiet ein nationales Schutzgebiet werden sollte. Und 2017 wurde in Guyana Geschichte geschrieben: Mit der Kanashen Amerindian Protected Area (KAPA) wurde das erste indigene Schutzgebiet und gleichzeitig das größte Schutzgebiet des Landes in das nationale Schutzgebietssystem aufgenommen.
Wie alle Schutzgebiete in Guyana gehört auch KAPA zur IUCN-Schutzgebietskategorie VI, die den indigenen Bewohnern die nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen erlaubt. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass Landwirtschaft im großen Stil verboten ist, ebenso Abholzung, die Gewinnung von Bodenschätzen, die Jagd von Schildkröten und das Jagen mit Fallen. Landesweit leben insgesamt 46 indigene Gruppen in und am Rande von Schutzgebieten, wo sie fischen, jagen und sammeln. Noch verstehen nicht alle indigenen Gemeinden, dass der Schutz der Natur am allermeisten ihnen selbst zugutekommt und fürchten Einschränkungen. Sie betrachten die Schutzgebiete Guyanas als ihren Supermarkt, der alles bereithält, was sie zum Leben brauchen.
KAPA gehört auch weiterhin den Wai Wai von Kanashen. Es wird vom Dorfrat, dem Kanashen Village Council, verwaltet, einem auf drei Jahre gewählten Gremium, das sich um die Angelegenheiten der Gemeinde kümmert. Jedes Schutzgebiet, egal ob privat oder national oder im Besitz einer indigenen Gruppe, macht viel Arbeit und verschlingt Ressourcen, wenn es nicht nur auf dem Papier bestehen, sondern auch wirksam sein soll. Daher greift die Schutzgebietsbehörde PAC (Protected Areas Commission) dem Kanashen Dorfrat unter die Arme, wenn es darum geht, effektive Managementstrukturen zu entwickeln. Da, wo es nötig ist, unterstützt und berät PAC den Dorfrat, beispielsweise bei der Umsetzung des Managementplans. Darüber hinaus mischt sich PAC aber nicht in die Angelegenheiten der Wai Wai ein.
Diesen Managementplan zu entwickeln, war eine der Voraussetzungen dafür, dass KAPA ein Schutzgebiet werden konnte. Er ist der Fahrplan, wie die Wai Wai ihre Naturschätze schützen und erhalten wollen und gleichzeitig auch sozial und wirtschaftlich davon profitieren können. Der Schutz der Biodiversität ist einer der Schwerpunkte des Fünfjahresplans. Er legt fest, wie die Flora und Fauna von Kanashen erforscht und überwacht wird, und welche Daten hierfür gesammelt werden müssen. Er legt auch fest, wie die Aus- und Weiterbildung des Schutzgebietspersonals aussieht und in welcher Form Ranger-Patrouillen durchgeführt werden. Die Ranger in Guyana sind nicht bewaffnet und haben keine polizeilichen Befugnisse.
Einen weiteren Schwerpunkt legt der Plan auf die Gemeindeentwicklung und naturschutzfreundliche Einkommensquellen. Ökotourismus und Kunsthandwerk spielen hier eine Rolle, aber auch die Ausbildung von Gemeindemitgliedern als Ranger, die Verbesserung der Gesundheitsversorgung im Dorf und die Verfügbarkeit von sauberem Trinkwasser. Daneben ist die Erhaltung der Wai-Wai-Kultur, insbesondere ihrer Sprache, ein Bestandteil des Plans. Das Budget für die Naturschutzaktivitäten kommt aus dem sogenannten Guyana Schutzgebietsfonds – einem Finanzierungsinstrument für Schutzgebiete in Guyana, für das KAPA ebenso förderberechtigt ist wie die übrigen nationalen Schutzgebiete des Landes. Derzeit benötigen die Wai Wai noch Unterstützung bei der Beantragung von Fördermitteln, aber durch gezielte Trainings in diesem Bereich werden sie bald selbst in der Lage sein, sich um Gelder zu bewerben.
All den ehrgeizigen Zielen, die KAPA sich gesetzt hat, stehen drei große Herausforderungen gegenüber: Bisher hat die extreme Abgeschiedenheit das Gebiet vor Goldwäschern geschützt. Dennoch hängt die illegale Goldgewinnung drohend wie eine dunkle Wolke über dem tropischen Himmel von Kanashen, das in einer Region mit vielen Bodenschätzen liegt. Hinzu kommt, dass die Mittel aus dem Schutzgebietsfonds von Jahr zu Jahr variieren. Das erschwert die Planbarkeit. Und: Was geschieht, wenn es irgendwann eine neue Führung im Dorf gibt und diese andere Prioritäten als den Naturschutz hat? Ein Austritt aus dem nationalen Schutzgebietssystem ist zwar langwierig, aber grundsätzlich möglich.
Was auch immer die Zukunft bringen mag, die Schutzgebietsbehörde PAC will in jedem Fall an ihrer Vision festhalten, in Guyana ein Schutzgebietssystem von Weltrang zu etablieren, zum Schutz von Natur und Menschen. Dazu gehört auch die Zusammenarbeit mit KAPA. Die Wai Wai von Kanashen wollen Guyana und der Welt zeigen, dass Naturschutz alle angeht und genauso gut von unten nach oben funktionieren kann. Und dass er nicht gegen die Rechte der indigenen Gruppen gerichtet ist, sondern sie respektiert und schützt. Schließlich verfolgen PAC und die Wai Wai am Ende dasselbe Ziel: die Natur für künftige Generationen zu schützen. Dafür nehmen die Wai Wai die Einschränkungen in Kauf, die das Leben in einem Schutzgebiet mit sich bringen.
Mit PAC-Unterstützung, mit motivierten Rangern und den nötigen finanziellen Mitteln hat die Kanashen Amerindian Protected Area der Wai Wai das Potenzial, ein Musterbeispiel für den Schutz von Natur mit und für die Menschen zu werden, die darin leben. In Guyana und weit darüber hinaus.
Die noch recht junge Protected Areas Commission (PAC) ist die für die Schutzgebiete von Guyana zuständige Regierungsbehörde. Die ZGF nahm Mitte 2014, wenige Jahre nach Gründung der PAC, ihre Arbeit in Guyana auf. Wir stehen unserem Partner PAC mit Rat und Tat zur Seite und helfen seit nunmehr fünf Jahren dabei, das Managementsystem für die Schutzgebiete des Landes aufzubauen. Von Beginn an dabei zu sein und eine Behörde und das System der Schutzgebiet in einem Land mitgestalten zu können, ist eine seltene und tolle Gelegenheit für uns. Mehr dazu
Dieser Artikel wurde verfasst von Sara Henry und Jessica George Joseph