Eine aktuelle wissenschaftliche Publikation zeigt: Selbst riesige und gut geschützte Gebiete wie die Serengeti sind nicht vor dem gefeit, was außerhalb ihrer Grenzen passiert.
Es wird enger in der Serengeti
Es wird eng auf unserem Planeten. 7,63 Milliarden Menschen leben zurzeit auf unserem Globus und Jahr für Jahr kommen 78 Millionen hinzu, wie die UNO prophezeit. Der Konflikt um Naturräume, die noch das bieten, was wir zum Leben brauchen, wird wachsen. Tansania hat 16 Nationalparks und zahlreiche Schutzgebiete mit unterschiedlichen Schutz- und Nutzungskonzepten, 35,5 Prozent der Landesfläche stehen seit 2017 unter Schutz.
Dass aber auch diese Schutzgebiete keine Inseln sind, die vom enorm steigenden Ressourcenverbrauch in ihrem Umfeld unbeeinflusst bleiben, das hat eine Gruppe von Wissenschaftlern am Beispiel des Serengeti-Mara-Ökosystems in Tansania und Kenia deutlich gezeigt. Hauptautor Michiel Veldhuis von der Universität im niederländischen Groningen und seine Kollegen haben Daten aus vier Jahrzehnten ausgewertet. In ihrem am 28. März erschienenen Beitrag im Wissenschaftsmagazin Science (Band 363, Seite 1424) zeigen sie, dass selbst das mit 40.000 Quadratkilometern riesige Serengeti-Mara-Ökosystem nicht unbeeinflusst bleibt von dem, was außerhalb seiner Grenzen vorgeht. „Unsere Arbeit zeigt, dass der Einfluss von Menschen genauso ernsthaft berücksichtigt werden muss wie die wesentlich besser bekannten Faktoren Klimawandel und Wilderei“, sagt Dr. Colin Beale von der Universität in York, einer der Autoren.
Die Studie
Cross-boundary human impacts compromise the Serengeti-Mara ecosystem Michiel P. Veldhuis, Mark E. Ritchie, Joseph O. Ogutu, Thomas A. Morrison, Colin M. Beale, Anna B. Estes, William Mwakilema, Gordon O. Ojwang, Catherine L. Parr, James Probert, Patrick W. Wargute, J. Grant C. Hopcraft, Han Olff Science, 29 Mar 2019; Vol. 363, Issue 6434, pp. 1424-1428
Das Serengeti-Mara-Ökosystem besteht aus einem Verbund an geschützten Gebieten, mit dem berühmten Serengeti-Nationalpark im Zentrum. Außerhalb der Schutzgebiete siedeln immer mehr Menschen, zwischen 1999 und 2012 wuchs die Bevölkerung laut Veldhuis und Kollegen um durchschnittlich 2,4 Prozent pro Jahr. Innerhalb von 13 Jahren ist die Bevölkerung somit um ein Drittel angestiegen. Unter anderem auch deswegen, weil Menschen zuwanderten, beispielsweise aufgrund der besseren Verdienstmöglichkeiten dank des Tourismus in den Schutzgebieten.
Wo mehr Menschen leben, weidet auch immer mehr Nutzvieh und werden immer mehr landwirtschaftliche Flächen angelegt. Die Rinderherden rund um die Serengeti wuchsen im Schnitt um 0,9 Prozent, Schafe und Ziegen sogar um 3,8 Prozent pro Jahr. Und während 1984 erst auf 37 Prozent der Fläche Getreide und Gemüse angebaut wurden, waren es 2018 bereits 54 Prozent. All das geht nicht spurlos am Serengeti-Ökosystem vorbei. Der immense Druck an den Rändern hat mittlerweile sichtbare und messbare Effekte selbst auf die Tier- und Pflanzenwelt im Zentrum des Nationalparks, weit entfernt von Äckern und Rinderherden. Auch wenn die Savanne in der Serengeti riesig und fast unendlich scheint, werden die wandernden Tiere förmlich „eingequetscht“ in den limitierten Raum.
Veldhuis und Kollegen zeigen, dass sogenannte räumliche Kaskadeneffekte dazu beitragen, das Ökosystem selbst in seinem am besten geschützten Zentrum deutlich zu schwächen. Zwar ist die Anzahl an Gnus, Zebras und Antilopen über die letzten Jahrzehnte sehr stabil geblieben und die Populationen sind gesund, doch die Wanderung der großen Herden in der Serengeti hat sich aufgrund des Drucks von außerhalb der Parkgrenzen verändert.
Mit den veränderten Tierbewegungen haben sich auch andere Parameter des Ökosystems geändert: Pflanzengesellschaften, Feuer, der Boden, sogar die Mykorrhiza, also die Lebensgemeinschaften von Pilzen in den Wurzeln von Pflanzen. Der treibende Faktor für diesen Effekt ist, dass die Tiere gezwungen sind, in Gebiete zu wandern, die eine schlechtere Lebensraumqualität für sie aufweisen.
Selbst in so riesigen und gut geschützten Gebieten wie der Serengeti sehen wir, dass das, was außerhalb passiert, einen Einfluss auf das System hat. Einfluss auf das System heißt beispielsweise, die Böden sind nicht mehr in der Lage, die gleiche Menge Kohlendioxid oder Nährstoffe zu speichern und die Fähigkeit, Niederschläge aufzunehmen, sinkt. Kurzum, das gesamte System ist weniger belastbar. Autor Michiel Veldhuis sagt dazu: „Wir müssen dringend umdenken, wie wir mit den Grenzen von Schutzgebieten umgehen, um die biologische Vielfalt zu erhalten. Die Zukunft der wichtigsten Schutzgebiete der Welt und der mit ihnen verbundenen Menschen hängt davon ab.“
Menschen, die angrenzend an Schutzgebiete leben, profitieren von deren sogenannten „Ökosystemleistungen“, von den Flüssen, die sauberes Wasser liefern, von den Wäldern, die dank ihres Mikroklimas Dürre auf den Feldern verhindern. Der Druck und die Versuchung sind groß, in die Schutzgebiete hineinzudrängen und unmittelbar von ihrem Reichtum zu profitieren. Die große Herausforderung wird darin bestehen, den Menschen, aber auch den politisch Verantwortlichen immer wieder klar zu machen, dass eine Ausbeutung der im Schutzgebiet liegenden Ressourcen die natürliche Lebensgrundlage der kommenden Generationen unwiederbringlich zerstört. Für Dr. Simon Mduma, den Direktor des Tanzania Wildlife Research Institute, kommt die Studie gerade recht. „Wir müssen unsere Schutzgebietsstrategie überdenken und sicherstellen, dass der Schutz nicht an der Parkgrenze endet“, sagt Mduma. Die Publikation liefere zudem die wissenschaftliche Grundlage zu den weitreichenden Konsequenzen des Bevölkerungsdrucks im Serengeti-Mara-Ökosytem, Informationen, die die politisch Verantwortlichen dringend brauchten.
Die Autoren der Studie betonen die Notwendigkeit einer guten Landnutzungsplanung um die Schutzgebiete herum, einer Verringerung des Weidedrucks durch Vieh und Ackerbau sowie einen noch besseren Schutz der Kerngebiete. „Das ist genau das, was wir mit unseren Projekten um die Serengeti herum vorantreiben“, sagt Michael Thompson vom Büro der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt in Arusha (Tansania). „Gemeinsam mit den Gemeinden versuchen wir, eine nachhaltige Landnutzung zu entwickeln, die die natürlichen Ressourcen schont. Gleichzeitig unterstützen wir den Nationalpark, damit er in der Lage ist, seine Grenzen gegen illegales Eindringen zu verteidigen.“ Denn ein Schutzgebiet ist weder ein Selbstbedienungsladen noch ein reines Refugium für seltene Tiere. Es ist die Absicherung der Lebensgrundlagen der Menschen vor Ort. Naturschutz braucht daher auch konsequente Kontrolle. Sonst verlieren am Ende alle.